Biblioteca Estense Universitaria, Modena, a.X.2.14 = Lat. 209
De Sphaera
Am Hof der Visconti entstand um 1470 das schönste illustrierte Astrologiebuch der Renaissance. In 15 prachtvollen Miniaturen beschreibt der Buchmaler Christoforo de Predis die Planeten und gewährt dabei einen höchst realistischen und detaillierten Einblick in den Renaissance-Alltag.
De Sphaera
Die älteste der Wissenschaften
Die Astrologie ist die Wissenschaft, die sich mit den Sternen befasst. Wo sie ihren Ursprung genommen und wann mit ihr jene Geschichte begonnen hat, die voller Poesie und Zauber ist und aus faszinierenden Mythen und Legenden, aus mathematischen Gesetzen, aus Forschungen und Entdeckungen besteht, ist unbekannt. Sicher ist nur, dass die Menschen beim Betrachten des Himmels ihren Beobachtungssinn stets verfeinert haben.
Sie glaubten bemerkt zu haben, dass von den Sternen und vom Mond am nächtlichen Himmel geheimnisvolle Kräfte ausgingen, welche die Natur zu beeinflussen vermochten, beispielsweise den Wechsel von Tag und Nacht sowie den Ablauf der Jahreszeiten, die Gezeiten des Meeres, die Sonnen- und Mondfinsternisse und die Kometen. All diese Phänomene wiederholten sich periodisch und wurden von der Bewegung der Gestirne angekündigt. Im gesamten Verlauf der Geschichte der Menschheit beschäftigte der Himmel und seine Geheimnisse die größten Denker der Zeit.
De Sphaera
Biblioteca Estense Universitaria, Modena, a.X.2.14 = Lat. 209
Wissenschaftliches Weltbild der Renaissance
Das De Sphaera betitelte Werk gilt heute als das schönste illustrierte Astrologiebuch der Renaissance – ein wundervolles Kunstwerk und zugleich ein äußerst wichtiges Kulturdokument, entstanden in der Zeit um 1470. Ursprünglich hatte die Schrift keinen Titel, auch gibt sie keinerlei Hinweis auf einen Autor oder einen Schreiber. Daher bezeichnet man diese Buchrarität heute als De Sphaera der Este. In unvergleichlicher Weise gewährt der berühmte Buchmaler Christoforo de Predis in seinem Meisterwerk Einblick in verschiedene Bereiche des Renaissancealltags. Diese Szenen sind dem Hauptthema des Werkes, den Planeten, zugeordnet. Zudem ist der damalige astronomische Wissensstand in Form von Vorläufern unserer Sternkarten zu sehen.
Unbedingter Glaube an die Sterne
Mailand bildete eines der großen italienischen Zentren der Astrologie im 15. Jahrhundert. Am Hof der Visconti/Sforza war die astrologische Wissenschaft wie die gesamte lombardische Kultur jener Zeit vom Geist des Realen und der Ordnung durchdrungen. Dennoch war der Glaube an die Kraft der Sterne nicht nur am Hof, sondern auch im Volk tief verwurzelt. Manche der großen Fürsten der Visconti ließen sich häufig Horoskope erstellen. So gab es denn auch jede Menge astrologischer Texte in den Bibliotheken des Fürstenhauses und auch des Adels und der Bürger. Somit erweist sich die astrologische Kultur in den humanistischen Renaissancezentren Oberitaliens als ein unentwirrbares Geflecht von Menschlichem, Göttlichem und Abergläubischem.
Ein Meister seines Fachs
Christoforo de Predis arbeitete in der Zeit um 1471 als Miniator am Hof der Sforza; er war die herausragende Persönlichkeit der Buchmalerei während des 15. Jahrhunderts. Geboren wurde er um 1440/45, vermutlich in Mailand. Er war seit seiner Geburt taubstumm. De Predis‘ fünfzehnjährige Künstlerkarriere begann in einem künstlerischen Umfeld, das in einigen Bereichen zwar noch an die spätgotische Tradition gebunden war, jedoch schon deutlich den Einfluss der französisch-flämischen Kunst zeigte. Nicht nur für De Sphaera, sondern auch für das prächtige Borromeo-Stundenbuch, ein Schmuckstück der lombardischen Malerei, das er um 1474 schuf, zeichnete Christoforo verantwortlich. Seine hohe Begabung und seine angeborene künstlerische Sensibilität, die vielleicht durch seine körperliche Behinderung noch verfeinert und gesteigert wurde, äußerten sich jedoch nirgends so deutlich wie in seinem größten Werk: der prachtvollen Handschrift De Sphaera.
Die prachtvollen Miniaturen
Insgesamt enthält die Handschrift 15 prachtvolle Miniaturen, die jeweils über eine ganze Seite reichen. Sie beschreiben die Planeten, die, nach damaliger Vorstellung, die Erde umkreisen, nämlich Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond. Ebenfalls in diesen astronomischen Karten verzeichnet sind das Verhältnis zwischen Erdkugel und Himmelssphäre sowie Erklärungen zu den Mondphasen und den Klimakoordinaten. Diese für die damalige Zeit modernsten wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in unvergleichlicher Weise mit der traditionellen Ikonologie, die das menschliche Schicksal auf den Einfluss der Sterne zurückführt, verbunden. Beigeordnet sind den Planeten die sich auf sie beziehenden Sternzeichen sowie jeweils zwei herrliche, auf das allerfeinste ausgeführte Ansichten von Landschaften, Städten und auch Innenräumen, die alle höchst realistisch wiedergegeben sind.
Dazu kommen noch die guten oder schlechten Eigenschaften, die den personifizierten Planeten zugeschrieben wurden, sowie die entsprechenden Sternzeichen. Vor und nach den Miniaturen wurde das damalige Wissen über die astronomischen Gegebenheiten des von der Erde aus sichtbaren Himmels auf astronomischen Zeichnungen festgehalten ein phantastisches Bild der Renaissance und ihrer Wissenschaft.
Die Faksimile-Edition
Die Faksimile-Edition erschien in einer einmaligen, streng limitierten Auflage von 980 numerierten Exemplaren und ist inzwischen vergriffen. Die 32 Seiten der Bilderhandschrift mit insgesamt 15 ganzseitigen Miniaturen, 9 astronomischen Zeichnungen und einer »Klimatafel« werden originalgetreu im Format von 24,5 x 17,0 cm wiedergegeben. Der prachtvolle rote Ledereinband wird in aufwendiger Handarbeit hergestellt und ist mit dem Wappen der Sforza und Visconti geschmückt.
Der Kommentarband
Der wissenschaftliche Kommentarband mit 117 Seiten wurde von namhaften Experten verfasst, die die Handschrift im Zuge der Faksimilierung genauestens erforschten. Die Experten: Dr. Ernesto Milano, Direktor der Este-Universitätsbibliothek von Modena, Dr. Leandro Ventura, Kunsthistoriker, Rom, und Giancarlo Malacarne, Heraldiker.